ZusammenfassungKarl Leonhard gilt als einer der letzten Vertreter der Nervenheilkunde, die die Fächer Psychiatrie und Neurologie gleichermaßen in Klinik und Wissenschaft beherrschten. Aus Frankfurt am Main kommend, war er von 1955 bis 1957 zunächst in Erfurt, danach bis zur Emeritierung 1970 als Ordinarius und Direktor an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Humboldt-Universität zu Berlin. Ein 1962 an Leonhard ergangener Ruf an die J.-W.-Goethe-Universität Frankfurt am Main führte zu politischen und persönlichen Irritationen. Seine wissenschaftlichen Arbeiten setzte er bis kurz vor seinem Tod am 23.4.1988 an der Berliner Charité fort. In der Tradition von Carl Wernicke und Karl Kleist stehend, entwickelte Leonhard mit seiner differenzierten phänomenologischen Analyse psychopathologischer Befunde eine ebenso differenzierte nosologische Klassifikation endogener Psychosen. Die Beschreibung zykloider Psychosen, die sich in Verlauf und Prognose von den unsystematischen und systematischen Schizophrenien unterscheiden, und der nosologischen Differenzierung uni- und bipolarer Depressionen setzte Leonhard neue Maßstäbe in Klinik, Therapie und Forschung endogener Psychosen. Seine Vorstellungen vom Stellenwert des Biologischen im Verhalten des Menschen wurden unter ideologischen Gesichtspunkten zwar kritisiert, führten dennoch zu einer erweiterten Sicht der Leistungen der menschlichen Psyche. Die Beschreibung normaler und abnormer Persönlichkeiten und das Konzept akzentuierter Wesenszüge waren die Grundlagen für seine auf die Individualität des Patienten und dessen Neurose ausgerichtete Individualtherapie. Leonhards Einfluss auf die Neurologie und Neuropsychologie hält mit seinen Vorstellungen über Theorie und Praxis der Hirnlokalisation, insbesondere der Beschreibung von Aphasie- und Agraphieformen, bis in die Gegenwart an.