Abstract
„Erleuchtung“ ist einer der prominentesten Begriffe, mit dem in der europäischen Kultur- und Religionsgeschichte Ideen der Vervollkommnung des Menschen zum Ausdruck gebracht worden sind. Anhand ausgewählter Beispiele umreißt das vorliegende Papier seine Entwicklung von einer Metapher in der griechischen Philosophie hin zu einem transkonfessionellen Sammelbegriff, der im Zuge der Pluralisierung von Religionen seit den 1960er Jahren eine Konjunktur in neuen, durch Markt und Medien allgemein zugänglichen Sinnstiftungsangeboten der „populären Religion“ (Knoblauch) erfahren hat. In einer Tour d’horizon, die bei Platon einsetzt und über Clemens von Alexandrien und Ps.-Dionysios Areopagita ins 18. Jahrhundert sowie in die Gegenwart führt, wird gezeigt, wie sich Vorstellungen von Licht und Erleuchtung und die Rede hierüber zu einem religiösen Begriff verdichtet haben, der über lange Zeit einen Ort im Christentum hatte, bevor er, begünstigt durch die Aufklärung, zu einer populären Kategorie wurde, die vor allem mit asiatischen, oder zumindest asiatisch inspirierten, Praktiken zur Erlangung von Heil in Verbindung gebracht wird. Der Beitrag rückt bei der Darstellung dieser Entwicklung in der Moderne Auswirkungen der Aufklärung in den Blick sowie asiatisch-euroamerikanische Beziehungsdynamiken der europäischen Kolonialzeit, die zur Entdeckung des Buddhismus als Religion führten. Haben diese doch maßgeblich dazu beigetragen, dass Erleuchtung im gegenwärtigen populären Verständnis, wie es sich beispielhaft in der sog. Satsang-Bewegung und populär-religiöser Erzähl- und Ratgeberliteratur findet, nicht mehr, wie in der neoplatonischchristlichen Prägung des Begriffs, als Zwischenstufe auf einem Weg zur Vervollkommnung gilt, sondern als Ziel und bleibender Besitz, der mit Vollendung assoziiert wird